Demenzerkrankungen – wenn das Gedächtnis streikt

Expertenchat vom 10. Oktober 2006 mit Prof. Dr. Klaus Hager, Chefarzt der Klinik für Medizinische Rehabilitation und Geriatrie der Henriettenstiftung Hannover.

Nach Schätzung des Bundesministeriums für Gesundheit leben zurzeit etwa 1 Mio. Demenzkranke in Deutschland. Der fortschreitende Abbau geistiger Fähigkeiten führt bei Betroffenen zum Verlust ihrer Selbständigkeit und stellt ihre Mitmenschen vor große Herausforderungen.

Wie man Demenzerkrankungen frühzeitig erkennen kann und welche Angebote es heute für Betroffene und Angehörige gibt, war Thema dieses Expertenchats. 

Demenzerkrankungen

Unter dem Oberbegriff Demenz werden verschiedene Demenzerkrankungen zusammengefasst, die sich auch in ihrem Verlauf unterscheiden. Die am häufigsten auftretende Form ist Alzheimer. In 60 % aller Fälle von Demenz wird diese Diagnose gestellt.

Andere Formen sind beispielsweise die vaskuläre Demenz, die auf Grund von Durchblutungsstörungen im Gehirn entstehen kann oder die Lewy-Körper-Demenz, die mit Parkinsonsymptomen einhergeht. Bei der frontotemporalen Demenz treten Sprachstörungen oder Distanzverlust auf. 

Ursachen

Bei der Alzheimerschen Krankheit kommt es zu einer Ansammlung bestimmter Proteine in den Nervenzellen. Andere werden an der Zellmembran falsch gespalten und lagern sich dann im Gehirn ab. Dort verursachen sie über die Jahre Schäden.

An einer Demenz erkranken vor allem ältere Menschen, doch auch bei jüngeren Leuten ist eine Demenz nicht ausgeschlossen, wenn auch äußerst selten. „Häufig [tritt sie] ab 75 [auf], unter 60 ist die Demenz selten, unter 45 eine Rarität“, so Prof. Dr. Hager.

Unter den Betroffenen sind überwiegend Frauen zu finden, was allein daran liegt, dass Frauen älter werden und die Demenz häufig erst ab einem Alter von 75 Jahren auftritt.

Demenz kann in seltenen Fällen auch vererbt werden. Besonders wenn beide Elternteile an Demenz erkrankt sind, besteht ein gewisses Risiko. Hierbei handelt es sich aber nur um Wahrscheinlichkeiten, betont Prof. Dr. Hager. Nur etwa 2 – 3 % der Demenzerkrankungen können tatsächlich vererbt werden.

Zu Ausfällen des Kurzzeitgedächtnisses kommt es nicht selten auch nach einer Chemotherapie. Nach der Therapie kann man hoffen, dass sich das Gehirn langsam wieder erholt. Konzentrationsstörungen können allerdings bleiben.

Ein Schicksalsschlag kann keine Demenz hervorrufen, sie aber möglicherweise demaskieren, wenn beispielsweise der Partner, der die Strukturierung des Alltags übernommen hat, stirbt. In erster Linie sei in einem solchen Fall aber von einer depressiven Reaktion auszugehen.

Prof. Dr. Hager empfiehlt Angehörigen, die betroffene Person vorerst zu stützen und abzuwarten, ob sich deren Zustand verschlechtert.

In Zukunft werden Demenzerkrankungen weiter zunehmen, da die Zahl älterer Menschen steigt. 

Diagnose und Verlauf

Um Demenz im Anfangsstadium festzustellen, gibt es einige Tests, die z. B. die räumlich-konstruktiven Leistungen überprüfen (wie etwa durch das Nachzeichnen von Figuren).

Prof. Dr. Hager betont jedoch, dass er sich nicht getrauen würde, „aus einem Test, oder auch mehreren, im Anfangsstadium eine so schwerwiegende Diagnose zu stellen“. Er empfiehlt, gegebenenfalls nach einem halben oder einem ganzen Jahr noch einmal nachzutesten.

Auch bezüglich der erblichen Veranlagung von Demenz ist eine Frühdiagnose in gewissen Grenzen möglich. Diese kann jedoch nur Wahrscheinlichkeiten angeben, „so dass man mit frühzeitigen Tests nur Unsicherheiten erntet, insofern sollte man sie vielleicht lassen“, so Prof. Dr. Hager.

Bei einer Demenzerkrankung sind das Gedächtnis und eine andere geistige Fähigkeit (wie etwa logisches Denken oder Sprechen) zusammen betroffen. Das beeinträchtigt den Alltag irgendwann so sehr, dass „normale“ Dinge, wie der Weg zum Bäcker oder die Namen der Kinder, nicht mehr bewältigt werden.

Diese Symptome müssen aber über einen Zeitraum von mehr als 6 Monaten zu beobachten sein, um von einer Demenz sprechen zu können. Ein Leistungsabfall oder Verwirrtheit innerhalb von Tagen hingegen muss eine andere Ursache haben.

Auch wer beispielsweise oft vergisst, wo er gerade etwas hingelegt hat, das er eben noch in den Händen hielt, muss längst nicht eine Demenz befürchten.

Wenn es einem nach kurzer Zeit wieder einfällt, ist das normal. Diese Erinnerungszeit wird mit zunehmendem Alter länger. Bei starker Belastung, wie zum Beispiel Stress, kann es ebenfalls dazu kommen, dass man etwas länger braucht, um sich zu erinnern.

Bei einer Demenzerkrankung verstärken sich die Symptome mit der Zeit. Es lassen sich dabei grob drei Stadien unterscheiden: Im ersten Stadium, in dem die Erkrankung noch leicht ist, kann man noch selbständig leben, während man im mittelschweren Stadium schon auf Beaufsichtigung und Strukturierung angewiesen ist. Im letzten, dem schweren Stadium, ist man pflegebedürftig, unter anderem wegen Inkontinenz.

Zu der Frage, ob ein Demenzkranker im Endeffekt an den Folgen der Demenz stirbt, antwortete Prof. Dr. Hager, dass die Patienten oft durch Verschlucken, Infekte oder Stürze und deren Folgen sterben.

Da ein schwer Demenzkranker nicht sagt, wo es ihm weh tut, sondern nur unruhig wird, können auch leicht andere körperliche Erkrankungen (zum Beispiel Herzerkrankungen) übersehen werden.

Der Verlauf einer Demenzerkrankung kann 5 bis 10, vielleicht auch 15 Jahre dauern. Manchmal sind es nur 2 bis 3 Jahre, bis ein an Demenz Erkrankter zum Pflegefall wird, manchmal aber auch 7 bis 10 Jahre. Es dauert umso länger, je früher die Diagnose gestellt wird. 

Behandlung

Die Heilung einer Demenz ist nur möglich, wenn die Ursache bekannt ist, wie z. B. ein Tumor oder eine Hirnentzündung. Ansonsten kann der Verlauf mit Medikamenten nur verzögert werden.

Auf die Frage, ob man mit Lecithin oder Cholin ähnliche Effekte erzielen kann wie mit Acetylcholinerase-Hemmern, antwortet Prof. Dr. Hager, dass diese beiden Stoffe nach schulmedizinischer Kenntnis keine Wirkung hätten. Er habe selbst schon Patienten gehabt, die das genommen hätten, ist jedoch nicht davon überzeugt.

Auf eine spezielle Ernährung muss nicht geachtet werden. Ein Demenzkranker sollte aber „gut und vitaminreich essen“ und nicht an Gewicht verlieren.

Ob sich eine Demenz beispielsweise durch Gedächtnistraining aufhalten lässt, ist nicht klar. Auf jeden Fall leiden Menschen, die viele Hobbies und Interessen haben oder ihr Gedächtnis trainieren seltener an einer Demenzerkrankung. 

Umgang mit Demenzkranken

Die Pflege Demenzkranker ist sehr belastend, da diese meist unausgeglichen und leicht reizbar werden und auch Hilfe oft nicht ohne weiteres akzeptieren. Angehörige, die die Situation nicht mehr bewältigen, leiden häufig am meisten.

Man „muss aufpassen, dass man selbst nicht in die Knie geht“, warnt Prof. Dr. Hager. Er empfiehlt hier den Austausch mit anderen Angehörigen, beispielsweise in einer Angehörigenselbsthilfegruppe.

Viele Chatteilnehmer, die eine Demenz bei einem Verwandten vermuteten, beschrieben Schwierigkeiten, diesen zu einer Untersuchung beim Arzt zu bewegen. Prof. Dr. Hager gab ihnen daraufhin einige Ratschläge, wie sie damit umgehen könnten:

Akzeptiert der Betroffene, dass etwas nicht in Ordnung ist, schickt man ihn am besten zum Hausarzt, der die Person schon lange kennt. Zuständig seien aber auch Neurologen und Psychiater.

Ist der Betroffene dazu nicht bereit, könne man ihn eventuell mit anderen Beschwerden wie Konzentrationsstörungen oder Depressionen dazu bekommen, zum Arzt zu gehen.

Man könne ihm auch die Angst nehmen, dass er ins Krankenhaus müsse. Meist gelänge es den Kindern aber doch, die Kranken zu einem Arztbesuch zu überreden.

Es wurde auch gefragt, ob es besser sei, ein Paar zu trennen, wenn der eine Partner unter der Demenz des anderen leide. Prof. Dr. Hager meinte dazu, dass eine Trennung beide sehr schädigen könnte.

Er würde daher eher eine Unterstützung durch Menschen vor Ort vorschlagen, z. B. durch Nachbarn oder einen Pflegedienst. Eventuell auch eine Betreuung für die kranke Person, um den Partner zu entlasten, was aber nur ginge, wenn die Person schon sehr dement sei.

Eine andere Teilnehmerin befürchtete, man könne ihre demenzkranke Mutter, die sie zuhause pflegt, auf einen Gerichtsbeschluss hin unter Betreuung stellen, auch wenn die Betreuung zuhause ausreichend sei.

Prof. Dr. Hager erklärte, dass bei der Betreuung durch die Familie Betreuungs- oder Vorsorgevollmachten meist ausreichend seien. Das Gericht würde nur dann einen Betreuer stellen, wenn die Familie nicht in der Lage sei, die Kranke zu betreuen. Ansonsten würden immer erst Angehörige in Betracht gezogen. 

Abschließend wies Prof. Dr. Hager noch darauf hin, wie wichtig es sei, dass sich die Menschen mit diesem Krankheitsbild befassen und damit umgehen können. Die Lebenserwartung und Lebensqualität der Demenzkranken sei allein durch die bessere Aufklärung und das bessere Verständnis heute schon spürbar gestiegen.

Pressemitteilung der BKK VDN

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
* Pflichtfelder

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.