Spitzenverbände fordern Sofortprogramm als Alternative zur missglückten Gesundheitsreform

Angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen um die Verabschiedung der Gesundheitsreform appellieren die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen an Bundesregierung und Bundesrat, die missglückte Reform zu stoppen und stattdessen ein Sofortprogramm zu beschließen. Dann könnten die gesetzlichen Krankenkassen auch ihre Beiträge wieder senken. Zudem würde die Politik damit auch den Befürchtungen von 85 Prozent der Bevölkerung gerecht, die durch die Reform eine Verschlechterung der Versorgung befürchten.

Die Teile des Gesetzes, die tatsächlich der Wettbewerbsstärkung dienen wie z. B. die besonderen Versorgungsverträge, sollten abgespalten und in Kraft gesetzt werden. Weiter sollten die gekürzten Steuerzuschüsse für versicherungsfremde Leistungen wieder in vollem Umfang gezahlt werden. Der Mehrwertsteuersatz für Medikamente müsse von 19 Prozent auf den ermäßigten Satz von sieben Prozent gesenkt werden und die Kassen müssten endlich ausreichend Geld von der Bundesagentur für Arbeit erhalten für die kostendeckende Versorgung von Arbeitslosen.

So könnten rund 10 Milliarden Euro für die Beitragszahler eingesetzt werden: Wiederherstellung der vollen Bundesfinanzierung der versicherungsfremden Leistungen: 2,7 Milliarden; volle Beiträge für Bezieher von ALG 1 und ALG 2: 4,3 Milliarden; ermäßigter Mehrwertsteuersatz Arzneimittel: 2,9 Milliarden.

Die Bedingungen für diese Neuorientierung der Politik seien jetzt viel günstiger als im vergangenen Jahr, betonten die Spitzenverbände: Die Steuereinnahmen stiegen, die Bundesagentur für Arbeit habe einen deutlichen Überschuss und könne die Finanzierung der Gesundheitsversorgung der Arbeitslosen übernehmen. Die Forderungen der Kassen seien somit nicht nur sachgerecht, sondern auch absolut finanzierbar. Die wirtschaftliche Entwicklung sei so positiv, dass Fiskus und Bundesagentur ein solches sinnvolles Sofortprogramm tatsächlich finanzieren könnten.

Die verfehlte Politik habe zu den erheblichen Beitragssatzanhebungen zu Jahresanfang geführt. Für die gesetzliche Krankenversicherung ergibt sich insgesamt im Durchschnitt eine Steigerung von 14,26 Prozent auf 14,82 Prozent, einschließlich des Sonderbeitrags der Kassenmitglieder von 0,9 Prozent. Die Spitzenverbände erwarten ebenso wie das Bundesversicherungsamt, dass im Laufe des Jahres noch weitere Erhöhungen folgen müssen. Der von den Spitzenverbänden prognostizierte Anstieg um 0,7 Beitragssatzpunkte werde damit voraussichtlich im Laufe des Jahres 2007 erreicht.

„Eine Beitragssatzerhöhung in einer solchen Größenordnung ist einzigartig in der Geschichte der gesetzlichen Krankenversicherung„, sagte die Vorstandsvorsitzende der Ersatzkassenverbände VdAK/AEV, Dr. Doris Pfeiffer. Die Beitragssatzerhöhungen seien jedoch notwendig geworden, um die guten Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen solide zu finanzieren, betonte die Verbandschefin. Für die Beitragssatzsteigerungen sei die Politik verantwortlich, die den Krankenkassen bereits zugesicherte Steuermittel wieder entzogen, die Mehrwertsteuer erhöht und durch gesetzgeberische Maßnahmen einen konsequenten Schuldenabbau der Krankenkassen verzögert habe.

Pfeiffer betonte, die Gesundheitsreform werde die Finanzprobleme der GKV noch verschärfen. Durch neue Leistungen kämen zusätzliche Belastungen von rund 500 Mio. Euro auf die Krankenkassen zu. Die Spitzenverbände gehen deshalb davon aus, dass der Beitragssatz bis zum Jahre 2009 auf 15,3 Prozent steigen wird. Auch der geplante Gesundheitsfonds mit Einheitsbeitragssatz ab 2009 werde nichts an den Finanzproblemen ändern: „Wer meint, ein Einheitsbeitragssatz würde die Probleme steigender Kosten lösen, der ist auf dem Holzweg. Verstaatlichung und Einheitsbeitragssatz sind jedenfalls nicht die Antwort auf die Finanzprobleme der GKV.“

Deshalb müsse die Politik die verfehlte Reform stoppen und das Sofortprogramm beschließen: Der Versuch, mit Nebenschauplätzen wie der Schaffung einer neuen Bürokratie in Gestalt eines GKV-Verbandes abzulenken, sei durchsichtig, sagte Dr. Hans Jürgen Ahrens, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbandes. Ahrens: „Jetzt einen neu zu gründenden GKV-Verband mit der Umsetzung der Gesundheitsreform zu betrauen, wäre so, als würde man eine heute neu zusammengekaufte Fußballmannschaft morgen ins Endspiel des DFB-Pokals schicken.“

Es dürfe auch nicht sein, so Ahrens, dass bei dieser Gesundheitsreform die Zukunft der Gesundheitsversorgung von 90 Prozent der Bevölkerung nicht mehr relevant scheint. Ahrens: „Es wäre fatal für unsere Demokratie, wenn sich die Politik nur noch um die Existenzfähigkeit der privaten Krankenversicherung sorgt. Die Politik sollte endlich darüber diskutieren, dass der Gesetzentwurf Regelungen trifft, die zum Untergang der gesetzlichen Krankenkassen führen könnten.“

Es sei zu begrüßen, dass jetzt offenbar das Gesundheitsministerium nach eindringlichen Hinweisen der Spitzenverbände erkannt habe, dass die vorgesehene Einführung der generellen Insolvenzfähigkeit und einer Rechnungslegung der Kassen nach dem Handelsgesetzbuch zum sofortigen Konkurs von Kassen führen würde. Hier prüfe man nun wohl Regelungen, die dies verhindern könnten. Freilich sei damit noch nicht das verfassungsrechtliche Grundproblem der generellen Einführung der Kasseninsolvenz ausgeräumt. Darüber werde wohl das Bundesverfassungsgericht entscheiden, falls nicht bereits Bundespräsident Köhler dem deshalb verfassungswidrigen Gesetz die Unterschrift verweigere.

Die Idee des Gesundheitsfonds – aber noch viel mehr seine nunmehr geplante Ausgestaltung – sei das Ergebnis von Kompromissen, die statt Probleme zu lösen, neue Probleme schaffen. Zwar habe der Bundesrat mit zahlreichen Änderungsanträgen auf den WSG-Entwurf reagiert, insbesondere auch auf die Insolvenzproblematik, leider jedoch nur verfahrenstechnisch und ohne die verhängnisvollen Folgen des Gesetzentwurfs für die Funktionsfähigkeit der gesetzlichen Krankenversicherung und die verfassungsrechtliche Problematik des WSG anzupacken. Wenn diese missratene Reform tatsächlich Gesetz werden sollte, dann entscheide künftig das Gesundheitsministerium in Berlin über die Gesundheitsversorgung in Stuttgart, München und Hannover, nicht mehr die jeweilige Landesregierung. Diese Reform führe auch für die Länder in die Sackgasse. Nur ein Neustart der Reform könne aus dieser Sackgasse herausführen.

 

Pressemitteilung der IKK Bundesverband

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