Essstörungen – erkennen und intervenieren: Berufsschullehrer lernen Umgang mit essgestörten SchülerInnen

Der Trend ist gleichermaßen deutlich wie erschreckend: immer mehr Jugendliche – überwiegend Mädchen aber zunehmend auch Jungen – leiden unter einer Essstörung.
Unter dem Motto „Essstörungen erkennen und intervenieren“ fand für die Lehrer des Fachbereichs Bäcker- und Metzgerhandwerk der Johann-Philipp-Reis-Schule in Friedberg und den Kolleginnen aus der benachbarten Wingertschule eine ganztägige Lehrerfortbildung statt.
Die Veranstaltung wurde vom Landesverband der Betriebskrankenkassen in Hessen organisiert und finanziert und ist Bestandteil des – vom Hessischen Kultusministeriums geschaffenen – Netzwerkes „Schule&Gesundheit“.
Die eingeladene Referentin, Jocelyne Reich-Soufflet vom Frankfurter Zentrum für Essstörungen, überzeugte durch ein hohes Maß fachlichen Wissens und langjähriger praktischer Erfahrungen im Umgang mit Essgestörten.
Essstörungen in den Erscheinungsformen der Magersucht, der Ess-Brech-Sucht und der Ess-Sucht wurden von Jocelyne Reich-Soufflet anschaulich erklärt. „Für gewöhnlich kann der menschliche Magen pro Mahlzeit eine Menge von 500 bis 600 Gramm ohne Druck aushalten. Esssüchtige verschlingen bei einer Mahlzeit ohne weiteres eine Menge von 2 bis 3 Pfund“, so Reich-Soufflet zur Erklärung der Esssucht.
Auch für die Magersucht lieferte sie ein erschreckendes Beispiel aus der Praxis „Ein junges Mädchen hat sich über Monate täglich von einer Ölsardine, einem halben Apfel und einer Scheibe Knäckebrot ernährt“.
Bei der Ess-Brech-Sucht, die häufig erst mal unerkannt bleibt, sind es nicht selten die Zahnärzte, die erste Hinweise an Angehörige geben.
Kaputte Zähne und Speiseröhrenverätzungen bleiben beim Zahnarztbesuch nicht unentdeckt und sind eine Folge des immer wiederkehrenden Erbrechens. Noch schlimmer sind die Verletzungen im Mund und Speiseröhrenbereich geworden, seit Zungenpiercings im Trend sind.
Beim Erbrechen schlägt das Piercing gegen die Zähne und sorgt damit für zusätzliche Schäden, schlimmstenfalls kann es beim Erbrechen in die Speiseröhre eintreten. Eine ganz neue Form von Essstörungen hält mittlerweile in Deutschland Einzug: die Orhtorexia.
Bei diesem Krankheitsbild ernähren sich die Betroffenen ständig unter dem Zwang alles richtig zu machen, also nur nach Nährwertangaben zu essen. „Es erscheint so gut und so gesund, aber es ist so krankhaft nicht nach Genuss sondern Nährwert zu essen“, erklärt hierzu Reich-Soufflet.
Egal um welche Erscheinungsform der Essstörung es sich handelt, alle haben eines gemeinsam: der gesamte Tagesablauf der Betroffenen wird vom Essen oder Nichtessen beherrscht. Und anders als bei anderen Suchterkrankungen, kann man das Suchtmittel „Essen“ nicht einfach weglassen.
Die Gründe und Ursachen des Hungerns, des Erbrechens oder unkontrollierter Essattacken sind vielschichtig. Zukunftsängste und Sorgen, familiäre Probleme, fehlendes Selbstwertgefühl und gesellschaftliche Überforderung.
Das oftmals angeschlagene Selbstwertgefühl pubertierender Jugendlicher kann dem heutigen gesellschaftlichen Schönheitsideal, das die Werbung täglich vorlebt, kaum widerstehen.
Essstörungen bleiben häufig über Monate, manchmal Jahre unentdeckt.
Der Ausstieg aus der Krankheit dauert aus therapeutischer Sicht zwei bis fünf Jahre und kann auch nur mit einem Team aus Betroffenen, Arzt, Diätasstistent, Psychotherapeut und Physiotherapeut bewältigt werden.
Die Frage nach der Rolle des Lehrers kommentierte Reich-Soufflet sehr treffend:“ Wir haben als Lehrer oder Freund oder auch Angehöriger das Recht und die Pflicht unsere Sorge dem Betroffenen gegenüber zum Ausdruck zu bringen“.
Bei der abschließenden Seminarkritik waren die Teilnehmer voll des Lobes für die Referentin. Ihr Dank ging auch an die BKK, die das Seminar überhaupt erst ermöglichte. Einig war man sich darüber die Augen vor der Problematik nicht zu verschließen, Betroffenen auf vertraulicher Basis Hilfe anzubieten und sich auch im Lehrerverbund gegenseitig zu unterstützen.
Pressemitteilung der BKK Enka

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