Ein Kontinent auf der Suche nach einer Seele

Ein halbes Jahrhundert nach ihrer Gründung ist das Projekt ‚Europäische Union‘ noch immer im Werden begriffen. Wenn die Bürger die europäische ‚Seele‘ nicht spüren, wird sich die Union nie voll und ganz realisieren lassen.

 

Allianz SE
München, 06.03.2014 Donwloads Foto: José Manuel Barosso (4,93 MB) Foto: Jean-Claude Junker & Wim Wenders (4,37 MB)

Vor genau einem Jahrhundert stand Europa kurz vor dem Ersten Weltkrieg mit seinen ungeahnten, verheerenden Folgen. Einhundert ereignisreiche Jahre später blickt das politisch geeinte Europa voll Sorge auf die Ukraine, wo aufgrund der Spannungen mit Russland ein neuer bewaffneter Konflikt droht.

„Wenn das Jahr 2014 in Europa ein friedlicheres Ende nimmt als in 1914, dann verdanken wir das vor allem der EU“, sagte Wolfgang Ischinger, Global Head of Public Policy and Economic Research bei der Allianz SE, bei der Eröffnungszeremonie der diesjährigen Berliner Konferenz von „A Soul for Europe“ im Allianz Forum am Pariser Platz in Berlin.

„Von außen betrachtet ist die Europäische Union zweifellos das innovativste politische Konstrukt der letzten hundert Jahre – selbst wenn viele missmutige Europäer dies von innen nicht ganz genauso sehen“, sagte Ischinger.

Bei der Konferenz, die von der „Europa eine Seele geben“-Initiative gemeinsam mit dem Europäischen Parlament und der Allianz Kulturstiftung veranstaltet wurde, kamen führende europäische Politiker, Künstler und Intellektuelle aus dem ganzen Kontinent zusammen. Schwerpunkt der Diskussionen war der wirksamere Einsatz der kulturellen Ressourcen Europas.

José Manuel Barroso, Präsident der Europäischen Kommission, in seiner Keynote-Rede: „Wir können kein Europa bauen, das nur auf den Verantwortlichkeiten der europäischen Institutionen basiert. Wir müssen Europa für die Bürger Realität werden lassen.“

Mehr als nur Brüssel

 

In seiner Eröffnungsrede vertrat Ischinger die These, dass die Kultur an sich weit mehr als nur ein nettes Accessoire für die politischen Institutionen Europas sei. „Kultur ist für unsere Sicherheit, unsere Stabilität, unser Wohlbefinden und unseren Wohlstand absolut unerlässlich“, sagte Ischinger.

 

„Eines der Probleme, mit denen wir in Europa konfrontiert sind, ist, dass Europa oft mit Brüssel, Luxemburg oder Straßburg gleichgesetzt wird“, sagte der Präsident der Europäischen Kommission José Manuel Barroso in seiner Keynote-Rede. „Natürlich sind diese Orte für unser Europa von institutioneller Bedeutung, aber Europa ist mehr als nur Brüssel; Europa sind wir.“

 

„Wir können kein Europa bauen, das nur auf den Verantwortlichkeiten der europäischen Institutionen basiert“, fügte Barroso hinzu. „Wir müssen Europa für die Bürger Realität werden lassen.“

 

Aber laut der zivilgesellschaftlichen Initiative „A Soul for Europe“, die Bürger und Politiker aus dem gesamten Kontinent in Kontakt bringt, ist genau das noch nicht geschehen. Die Initiative beklagt, dass Kultur im Gegensatz zur Bürokratie, den Finanzen und der Regulierung allzu oft in den Hintergrund gedrängt wird. Anstatt für stärkere finanzielle Unterstützung für Kultur und Geisteswissenschaften zu werben, will die Gruppe Kultur als Instrument nutzten, das eine stärkere europäische Integration fördern kann.

 

Der deutsche Filmemacher Wim Wenders ist der Ansicht, dass die europäische Integration nie wirklich über ein rein „technisches und wirtschaftliches Unterfangen“ hinaus gekommen sei.

 

„Aber die Menschen brauchen mehr“, sagte Wenders bei der Konferenz. „Sie brauchen eine Seele, sie brauchen Gefühle und Ideen. Ihre Identifikation mit Europa und ihr Zusammengehörigkeitsgefühl müssen noch weiter genährt werden. Was fehlt, ist einfach die Kultur im weiteren Sinne.“

 

„Wann immer sich Europa in der Krise befindet, wenn Europas Ruf in den Dreck gezogen wird, dann ruft Europa manchmal seine Künstler und Intellektuellen und Filmemacher, um das Image wieder aufzupolieren“, sagte Wenders. „Aber wir sind keine regelmäßigen Gäste in Brüssel … Wir bleiben Zaungäste, Zuschauer – wenn überhaupt, dann schmückt man sich manchmal mit uns.“

 

Der ungarische Schriftsteller Gyorgy Konrad sagte, für die Teilnahme an der Konferenz sei eine gute Portion Ironie vonnöten, denn Europa habe viele Seelen und viele Geschichten. „Europa nur eine einzige Seele geben oder für Europa nur eine Seele finden zu wollen, ist eine Chimäre.“

Meinungsaustausch. Jean-Claude Junker (Europäische Volkspartei – links) und deutscher Filmemacher Wim Wenders (rechts) sprachen auf der Konferenz.

Eine Seele für den Kontinent?

 

Aber kann ein ganzer Kontinent wirklich eine Seele haben? Und wenn ja, wie sähe die Seele Europas dann aus? Was diesen Punkt anging, waren die Konferenzteilnehmer unterschiedlicher Meinung.

 

„Für die Zusammenarbeit ganzer Länder und Nationen durch gemeinsame Institutionen und über Grenzen hinweg brauchen wir eine Seele“, sagte Martin Schulz, der Präsident des Europäischen Parlaments, Open Knowledge.

 

„Der Grundgedanke muss sein, dass wir einander respektieren und Möglichkeiten schaffen einander auf Augenhöhe zu begegnen“, sagte Schulz. „Es geht nicht an, dass die größeren Länder den kleineren Lektionen erteilen oder die reichen Länder verlangen: ‚Folgt uns – wir haben das Geld.‘ – Wenn das passiert, dann hat Europa eine Seele.“

 

Für Rebecca Harms, die Vorsitzende der europäischen Grünen, manifestiert sich die Seele des Kontinents in der Bereitschaft Probleme anzugehen und über die „sehr gefährliche Idee und die Grenzen des Nationalstaats“ hinauszuwachsen.

 

“Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Sicht von außen die bessere ist“, sagte Harms. „Jetzt zum Beispiel spürt man überall in der Ukraine, dass die dortige Bevölkerung unsere Werte besser kennt als wir selbst.“

 

Jean-Claude Junker, der ehemalige Premierminister von Luxemburg, sagte Open Knowledge, dass für ihn der europäische Konsens über Werte wie Demokratie, Menschenrechte, Respekt und Toleranz gleichbedeutend mit einer Seele sei.

 

“Die schmerzvolle Geschichte des Kontinents hat uns gelehrt, dass wir miteinander sprechen, anstatt aufeinander schießen sollten“, sagt Juncker. „Was das angeht, hat Europa eine Seele.“

 

In einer gemeinsamen Diskussionsrunde mit Wim Wenders und der Direktorin des Sziget Festivals Fruzsina Szép, bezeichnete Juncker die Unkenntnis unter den Europäern über andere Europäer als vielleicht die größte Herausforderung für die europäische Integration.

 

„Das ist ein echtes kulturelles Problem“, sagte Juncker. „Wir wissen einfach nicht genug über einander.“

 

„Genau da könnten wir Hilfe leisten“, sagte Wim Wenders. „Und das würden wir auch gerne tun.“

  Vorbehalt bei Zukunftsaussagen

Diese Aussagen stehen, wie immer, unter unserem Vorbehalt bei Zukunftsaussagen:

 

Disclaimer   Kontakt für Presse

Ursula Schürmann
Allianz SE
Tel. +49.30-20622751
Email senden

  Mehr Informationen zum Thema Allianz Kulturstiftung

Pressemitteilung Allianz ( Allianz SE
München, 06.03.2014 )

Schreibe einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.
* Pflichtfelder

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.